Buchvorstellung: “Resilienz” von Christina Berndt
Resilienz and Friends
Drei Jahre lang jonglierte ich meine 1.440 Minuten am Tag zwischen Labor und Bühne hin und her. Diese Periode meines Lebens hat mir gezeigt, wie unterschiedlich ich Zeit erlebe. Manche Tage drohten, nie vorbei zu gehen. Andere waren so schnell vorüber, dass ich mich am Abend fragte, wo der Tag geblieben ist. Die Zeit verläuft immer gleich schnell, doch die gefühlte Zeit kann sich ausdehnen und zusammen ziehen.
Wenn Sie jedoch viele Dinge auf der To Do-Liste oder im Job zu erledigen haben, kann Zeit zu Aufgabenkonfetti verkommen. Das schlimme daran ist, dass wir Freizeit dann weniger als solche erkennen und erleben. Sogenanntes Multitasking kann zu Stress führen und dauerhafter Stress kann uns mit den Kollegen burn-out und Depression bekannt machen. Diese Verkettung von Zeit, Überforderung, Stress und schließlich Krankheit, war Grund genug mich auf die Suche nach Lösungen zu begeben. Auf meiner Lesereise fand ich ein Buch, dass von einer Wissenschaftsjournalistin der Süddeutschen Zeitung erstmals im Jahre 2013 heraus gebracht wurde – Resilienz von Dr. Christina Berndt.
Eine überraschende Erkenntnis aus dem Buch war, dass Stressresistenz und Resilienz zwar verwandt, jedoch keine Zwillinge sind. Resilienz ist eine erlernbare Eigenschaft, die Menschen hilft nach erlebten Krisen recht zügig wieder aufzustehen. Sie ist vergleichbar mit Sylvester Stallones Charakter, Rocky Balboa, der immer wieder aufsteht, egal wie oft er niedergeschlagen wird. Stressresistenz hilft uns dabei größeren negativen Stress länger auszuhalten. Vor Lebenskrisen schützen sowohl Resilienz als auch Stressresistenz nur bedingt.
Wunde Punkte
Dr. Christina Berndt nennt in ihrem Buch viele Beispiele resilienter Menschen, doch sie erwähnt auch, dass jeder Mensch wunde Punkte hat. Ähnlich wie bei Siegfried dem Drachentöter im Nibelungenlied kann uns eine Lebenskrise an der Stelle erwischen, an der das Blatt war, welches nicht vom Drachenblut bedeckt worden ist. Doch was unterscheidet dann resiliente von weniger resilienten Menschen?
In vielen Gesprächen mit u.a. Psychologen, Mediziniern und Professoren nimmt sich Dr. Berndt dieser Frage an. Anschaulich wird im Buch von Forschungsergebnissen aus der Resilienzforschung von den Anfängen bis heute beschrieben. Übrig bleiben Faktoren, die jedem Menschen mehr Resilienz schenken können. Doch die Liste ist lang. Bindung, Offenheit, Optimismus, Humor, Selbstvertrauen usw.
Resilienzgene
Es macht Sinn, dass eine so komplexe Eigenschaft nicht einfach zu erklären ist. Umso überraschender war es, als die ersten Gene bekannt wurden, die in Verbindung zu Resilienz stehen. Einige Genprodukte sind mit verantwortlich für die Menge an Serotonin, die im Gehirn aktiv ist. Serotonin ist im Kopf, neben vielen anderen Funktionen, als Zufriedenheitshormon bekannt. Zuviel davon kann jedoch Halluzinationen hervorrufen. Es gibt Menschen, die veränderte Formen von Serotoninrezeptoren aufweisen und dadurch bei Krisen oder Stress in ihrer Stimmung viel stärker beeinflussbar sind. Psychologen sprechen dann von Orchideenkindern bzw. Löwenzahnkindern, wenn die Stimmung seltener ausschlägt.
Doch es scheint so zu sein, dass das Potenzial für großen seelischen Schmerz auch mit dem Potenzial eines immensen Glücksempfindens einhergeht. Ob die genetische Veranlagung nun für mehr oder für weniger Resilienz verantwortlich ist, kann daher nur im Zusammenhang mit der Umwelt beantwortet werden. Wächst ein sensibles Orchideenkind in einer positiven Umgebung auf, sind die Erwachsenen oft resilienter als der Durchschnitt der Löwenzahnkinder. Natürlich ist auch der umgekehrte Fall wahr.
Lesen bitte
Ich kann das Buch allen empfehlen, die sich mit dem Thema Resilienz beschäftigen wollen. Es ist gut geschrieben, was bei der Fülle an untergebrachten wissenschaftlichen Studien nicht einfach ist. Außerdem sendet es eine Botschaft der Hoffnung an alle vom Leben einmal kräftig Durchgeschütteten. Wir leben noch. Um wieder aufzustehen müssen wir wissen, verstehen und fühlen, dass wir wer sind, dass wir was können und dass wir nicht allein sind.
Ich wünsche Ihnen eine resiliente Woche,
Dr. Ben Hartwig