Interview mit Prof. Dr. Binkofski der RWTH Aachen: Unser Spiegel im Kopf

Die Uniklinik in Aachen wirkte wie eine futuristische Fabrik auf mich. Im Gebäude wanderte ich durch viele gerade Gänge, in denen die Farbe Grün hervor stach. Ich war auf der Suche nach Professor Binkofski. Er beschäftige sich schon seit längerer Zeit mit dem Gehirn und ich war mir sicher, dass ich von ihm etwas über Spiegelneuronen lernen konnte. Doch es wurde viel mehr als das. Mich erwartete eine Reise in meinen Kopf und wieder zurück. Gespickt mit Humor und Erfahrung erzählte mir Herr Binkofski von Spiegelneuronen, der Zukunft des Lernens und einem menschlichen Phänomen.

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Herr Binkofski, wie reden verschiedene Teile des Gehirns miteinander?

Wir wissen mittlerweile, dass das Gehirn in Netzwerken arbeitet. Die Zellen sind ohnehin vernetzt. Allerdings gibt es bevorzugte Verbindungen von Neuronen, die von Beginn an miteinander in Kontakt stehen.

Den Ruhezustand des Gehirns können wir über Kernspintomographie oder elektrophysiologische Methoden messen. Man kann dann sehen, dass die Aktivität des Gehirns ohne Aufgabe sich in Netzwerke aufteilt. In diesem Zustand kann man sehen, dass einige Netzwerke überwiegend miteinander sprechen z.Bsp. das motorische oder das akustische Netzwerk.

Gibt es also ein Basisgespräch?

Ja genau, wir messen Aktivität, auch wenn wir meinen, dass sich da nichts tut. Das hat viele Ursachen. Eine Ursache ist, glaube ich Ökonomie. Wenn sie sich zum Beispiel vorstellen, dass jetzt in diesen Raum ein Löwe kommen würde. Dann wären natürlich alle Netzwerke aktiv, das Adrenalin schießt hoch und wir reagieren. Eine Basisaktivität in bestimmten Netzwerken kann dann eine schnellere Reaktion ermöglichen.

Mich hat das gerade wacher gemacht, nur weil Sie gesagt haben, ich soll mir vorstellen, ein Löwe käme rein. Was macht die Spiegelneuronen im Gehirn besonders?

Das Spiegelneuronen-Netzwerk hat eine gewisse Resonanz mit der Außenwelt. Spiegelneuronen sind nicht nur an der Ausführung, sondern auch an der Wahrnehmung von Bewegung beteiligt. Daher stellen sie eine Datenautobahn zwischen Reiz und Reaktion dar. Allerdings funktioniert diese Autobahn am besten, wenn wir Bewegungen und Tätigkeiten wahrnehmen, die wir kennen. Die Bewegungen der Außenwelt, werden mit unserem Repertoire abgeglichen. Dadurch sind Spiegelneutronen ein Filter für unsere Reaktion. Dies bezieht sich hauptsächlich auf die motorischen Spiegelneuronen

Man meint allerdings, dass es auch ähnliche Spiegelneuronen für Emotionen gibt. Wenn diese gefunden werden, stelle ich mir den Ablauf ähnlich vor. Wir nehmen Emotionen bei Anderen wahr und gleichen sie mit unseren ab.

Gibt es große Unterschiede und Abstufungen an der Menge an Spiegelneuronen, die jeder Mensch im Kopf hat?

Autisten haben Schwierigkeiten damit emotionale Zustände der Mitmenschen über eigene Emotionen zu erkennen und müssen sich über Rationalität helfen. Das liegt vermutlich daran, dass wenige oder keine emotionalen Spiegelneuronen als Filter besitzen. Natürlich spiegelt sich unsere Prägung auch in unserem Gehirn wieder.

Emotionale Empathie ist zwar angeboren, doch kann auch erlernt werden dadurch, dass man sich in die Lernsituation begibt. Es gibt aber auch Narzissten und Egoisten, die keinen Wert darauf legen Empathie zu erlernen. Donald Trump zum Beispiel würde zuletzt zugeben, dass er selbst etwas falsch gemacht hat. Es ist dann eben immer jemand anderes Schuld.

Wie weit geht eine solche Plastizität im Gehirn?

Spiegelneuronen können nicht alles leisten. Es gab einen riesigen Hype und man dachte zwischenzeitlich, dass das Gehirn nur aus Spiegelneuronen besteht. Das ist es vermutlich nicht. Doch wenn Sie sich zum Beispiel Bobfahrer anschauen, sehen sie, dass die Fahrer den Kurs vor der Fahrt im Kopf durchgehen. Hier leisten Spiegelneuronen eine Anpassung unseres Repertoires. Die Situationen die wir kennenlernen, gehört, durch das stetige lernen, irgendwann zu unserem Schatz. Die Dinge, die wir kennen, können in unserem Gehirn dann schneller abgeglichen werden.

In dem Prozess des motorischen Lernens, spielen die Spiegelneuronen auch eine Rolle. Denn wenn wir lernen, müssen wir zunächst einmal auch erkennen, bevor wir internalisieren. Henry James hat schon 1890 erkannt, dass unsere Handlungen zu Erfolgen führen.

Die DDR Sportler mit dem Leistungszentrum in Jena, ist ein weiteres Beispiel. Dort wurden Bewegungsabläufe sehr stark visualisiert. Ich glaube und hoffe, dass der Erfolg der DDR Sportler nicht nur auf Doping zurückzuführen ist.

Kinder können Gesten machen, bevor sie sprechen und wissen, was diese Gesten bedeuten. Wie kommt das?

Imitation ist auch ein wichtiger Bereich.  Die Kinder beobachten die Eltern und erkennen die Muster in der Interaktion. Wir passen uns ständig unserer Umwelt an. Es gibt eine genuine Imitation, bei der wir das motorische Programm nur kopieren. Dafür müssen wir nur unser motorisches System nutzen. Bei bedeutungsvollen Gesten, wie zum Beispiel der Pantomime steckt ein Vorwissen dahinter. Dadurch werden diese Gesten anders verarbeitet. Dann schalten wir auch unsere konzeptionellen Systeme ein. Wir sehen dann aktive Regionen im Hirn, in denen unser semantisches Wissen gespeichert ist. Manchmal ist es auch wichtig den Kontext einer Geste zu erkennen. Ich denke, dass dabei nicht nur Spiegelneuronen involviert sind.

Warum fällt es mir leichter jemanden direkt, wie im Spiegel, zu spiegeln?

Die effektivste Art der Imitation ist die 1 zu 1 Imitation. Wenn ich meinen rechten Arm hebe, heben Sie den linken. Alles andere wäre eine Transferleistung und aufwendiger. Wenn sie eine widersprüchliche Aussage tätigen, dann entsteht etwas, dass wir Interferenz nennen. Je mehr Interferenzen Sie aussenden, desto kleiner ist der Lernerfolg. Gerade abgespeichertes wird wieder überschrieben. Wenn Sie allerdings etwas lernen und dann schlafen, festig sich das Gelernte im Gehirn.

In einem Ihrer Veröffentlichungen geht es um das beschleunigte Lernen über Stimulation des Hirns. Wie kann ich mir das vorstellen?

Man kann die Hirnaktivität modulieren. Das heißt, dass wir jetzt die Möglichkeiten haben Nervenzellen anzuregen oder zu hemmen. Man geht davon aus, dass durch eine Anregung, mehr Plastizität möglich ist. Der Zeitpunkt der Stimulation ist wichtig. Sie sollte während des Lernens oder danach erfolgen. Noch wissen wir nicht, welcher Zeitpunkt effektiver ist. Ich kann mir vorstellen, dass eine Stimulation in der Konsolidierungsphase des Hirns, nach dem Lernen, zu besseren Ergebnissen führt.

Die richtigen Areale müssen stimuliert werden. Die Effekte, die man sieht, liegen bei 10 – 20 % erhöhter Plastizität. Das Gehirn lässt also eine stärkere Plastizität zu. Allerdings nur zu einem bestimmten Maße.

Gibt es Unterschiede der Anregung je nach System?

Das ist noch nicht bekannt. Es gibt zwei Hauptmethoden der Stimulation. Die eine ist die Transkranielle Magnetstimulation, womit ein bestimmtes Areal des Hirns stimuliert werden kann. Dafür muss ein Proband allerdings für lange Zeit ruhig sitzen oder liegen bleiben. Da die Spule dann oft verrutscht, kann diese Technik mühsam sein.

Bei der Gleichstromstimulation werden Anode und Kathode am Menschen angebracht und dazwischen fließt Strom. Die Person kann sich dabei bewegen. Doch es ist noch nicht ganz klar, wo der Strom fließen muss, damit ein maximaler Effekt erreicht wird, ohne andere Netzwerke zu stören.

Ist dies eine Art modern zu lernen?

Es ist noch Zukunftsmusik, doch nicht mehr abwegig. Das Interesse der Industrie ist dabei recht groß.

Wir haben darüber gesprochen, dass das Gehirn Informationen aus der Umwelt verarbeitet. Wie ist dies mit der inneren Welt? Gibt es einen inneren Abgleich auch bezogen auf die Visualisierung des Selbst?

Man ist sich mittlerweile einig, dass das Hirn eine Art Vorwärtsmodell ist. Wir haben eine Abbildung der Welt in uns mit uns darin. Unsere Augen machen ständig Mikrosakkaden, um die Umwelt wahrzunehmen. Doch zwischen den Sakkaden sind wir blind. Was wir „sehen“. ist also ein Bild, das unser Hirn uns aus den Momenten zwischen den Sakkaden zusammen baut. Das heißt unsere Aufmerksamkeit ist subjektiv und selektiv. Ein schönes Beispiel dafür finden Sie in diesem Video:

Das Modell der Welt in uns ist auf Update eingestellt. Als Sie diese Klinik betreten haben, hatten Sie noch kein genaues Bild von ihr. Jetzt haben Sie ein genaueres Bild der Klinik abgespeichert und sogar eine Chance zurück zu finden (Die Gänge sehen wirklich alle sehr ähnlich aus). Die Zusammenarbeit von Spiegelneuronen und anderen Systemen hilft uns neue Dinge leichter aufnehmen.

Das Gehirn durchläuft in seiner Entwicklung verschiedene Phasen. Spielt es dabei eine Rolle in der Entwicklung etwas gelernt wird?

Natürlich, Kinder lernen Sprachen bekanntlich sehr schnell. Allerdings werden zunächst die Begriffe in der unmittelbaren Umgebung wahrgenommen und verankert. Die Bezugspersonen und Gegenstände, die man mit den Sinnen erfahren kann, wie z.Bsp. ein Ball. Abstrakte Begriffe, wie Freiheit, Ehre oder Verbindlichkeit, sind sehr viel schwächer im Gehirn verankert. Es braucht ein Vorwissen und mehr Erfahrung, um diese Begriffe zu begreifen.

Eine Neurowissenschaftlerin, der ich zuhörte, hat einmal gesagt, dass für sie der Geist alles ist, was das Gehirn macht, im Zusammenspiel mit den inneren Funktionen des Körpers. Sehen Sie das ähnlich?

Also, zumindest kann man das nicht ausschließen. Wir sehen, dass bestimmte Körperfunktionen oder geistige Leistungen nicht mehr erbracht werden können, wenn Teile des Hirns ausfallen. Das es da noch etwas Zusätzliches gibt, ist physikalisch schwer vorstellbar.

Seit einigen Jahren jedoch begleite ich einen jungen Patienten, der, durch einen unerkannten Herzfehler, einen Herzstillstand erlitt. Große Teile seines Sehnervs waren betroffen. Er konnte nur noch einen groß geschriebenen Buchstaben auf einmal sehen. Mehr nicht. Mittlerweile kann er drei Buchstaben auf einmal sehen, doch faktisch ist er blind. Allerdings geht dieser Mann selbst einkaufen, joggen und lebt das Leben eines Sehenden. Er hat auf eine meisterhafte Weise gelernt, kleine Hinweise seiner Umwelt zu seiner Welt zusammen zu bauen. Dieser Mann weiß, dass er nur ein Schlüsselloch zu der Welt hat, doch es funktioniert trotzdem. Ist es also nur Wahrnehmung und Handlung, was unseren Geist ausmacht? Und wenn es da noch mehr gibt, wo sitzt es?

Wahrscheinlich im Hirn, doch man weiß es nicht. Wir wissen, dass wir fast genauso viele Neuronen im Bauch haben (Plexus solaris), wie im Kopf. Unser Bauchhirn hat auch eine gewisse eigene Intelligenz, über die unsere autonomen Körperfunktionen gesteuert werden. Geist ist wahrscheinlich nicht nur das Gehirn, sondern das Ganze. Wenn wir uns durch unsere Umwelt bewegen, arbeiten wir an dem Update mit. Das Hirn ist mit dem Körper verbunden und steuert uns auf irgendeine Weise. Doch es wird auch durch Informationen versorgt, wenn wir fühlen und mit der Umwelt interagieren. Geist ist also eine Leistung des Ensembles.

Vielen Dank Prof. Binkofski

Ich wünsche Ihnen eine geistreiche Woche,

Dr. Ben Hartwig

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