Deine Angst ist nicht meine Angst
Eine geliebte Person stand vor mir. Sie war gerade so richtig sauer auf etwas, dass ihr passiert war. Wenn Sie wie ich durch die Welt stapfen, sind Sie dann vielleicht schon einmal in die gleiche Falle getappt. Ich sagte: „Jetzt beruhige dich doch mal. Ist doch kein Ding!“ Der Effekt war das Gegenteil, von dem was ich mir versprochen hatte. Es wurde sogar schlimmer, weil sich die Wut plötzlich weg vom Thema auf ein Ziel konzentrierte - mich.
Da mich die Situation noch länger beschäftigt hat, begann eine Reise in die Tiefen der Emotionsforschung, von der ich hier berichten darf. Ich stelle Ihnen zwei entscheidende Theorien vor, die sich in der Emotionsforschung etabliert haben und Sie nehmen ein Modell mit, um mit Emotionen auf der Arbeit und im Leben besser umgehen zu können. Meine Hoffnung ist, dass Sie als Leser zufrieden weiterziehen und das Gefühl bekommen, dass Sie eine Chance haben, das Emotionsbiest zu zähmen. Legen wir los!
Wir sind alles Individuen - ich nicht
Die meisten Menschen unterscheiden nicht zwischen Emotionen und Gefühlen. Die Begriffe werden in der Umgangssprache oft synonym benutzt. In der Neurowissenschaft ist das jedoch anders. Das liegt daran, dass man in der Wissenschaft versucht das Bewusstsein auszuklammern, um möglichst Objektiv an die Sache herangehen zu können. Der amerikanischen Neurowissenschaftler David J. Anderson betrachtet Emotionen als eine Hirnfunktion, ähnlich wie unser Erinnerungsvermögen. Die Signale, die der Körper an das Gehirn sendet, und die Dinge, die dann im zentralen Nervensystem hinter der Schädeldecke passieren, lassen sich durch diese Betrachtungsweise studieren.
Gefühle hingegen sind eher subjektive Eindrücke. Der Teil der Emotionen, den wir bewusst wahrnehmen, benennen wir. „Ich bin traurig, wütend und ein bisschen fröhlich.“ Emotionen sind also fachlich von Gefühlen getrennt, genauso wie der Geist vom Gehirn. Doch selbst wenn das Bewusstsein ausgeklammert wird und Emotionen von Wissenschaftlern erforscht werden, können wir nicht vorhersagen, wie ein Gehirn Emotionen verarbeitet und welcher Teil schließlich zum Gefühl wird.
Emotionsforschung ist komplex. Immer wenn man in der Forschung auf etwas Komplexes stößt, versuchen Wissenschaftler Komplexität möglichst zu reduzieren, indem sie eine Wiederholbarkeit finden. Der Apfel fällt nicht nur mir auf den Kopf. Das Eis schwimmt nicht nur in meinem Glas oben. Das Wasser wird nicht nur von mir verdrängt – HEUREKA! Wenn man etwas wiederholen kann, ist das wie Gold in der Wissenschaft. Deshalb ist der Wissenschaftler Paul Ekman mit seinen Emotionsforschungen auch so erfolgreich. Er steht für eine Theorie der universellen Grundemotionen. Die Annahme ist, dass Menschen überall auf der Welt ähnliche Grundemotionen haben.
Ekman lud in den 70er und 80er Jahren Schauspieler in sein Labor ein und fotografierte die Gesichter der Probanten, während sie versuchten Emotionen im Gesicht zu zeigen. Das sah dann etwa so aus:
Gegenwind
Viele Menschen erkannten die Konzepte von Wut, Angst, Ekel, Überraschung, Freude und Trauer in diesen Experimenten. Es waren sogar so viele Menschen, dass bis heute an der Theorie der Grundemotionen geforscht wird. Große Firmen geben Milliarden aus, um an Patente zu kommen, die mit Emotionen zu tun haben. Es wird künstliche Intelligenz entwickelt, die Emotionen an der Stimme erkennen kann. In Schauspielschulen gibt es Emotionslehre und dennoch fühlte ich beim Lesen der Forschung manchmal eher eine Emotionsleere. Wenn wir alle ähnlich ticken, wieso mache ich dann so viele Fehler beim Lesen meiner Mitmenschen? Bin ich nicht empathisch genug oder ist das nur ein Teil der Wahrheit?
Viele Jahre später wiederholte eine weitere Neurowissenschaftlerin namens Lisa Feldman Barrett einige von Ekmans Experimenten. Sie hatte festgestellt, dass es in den Veröffentlichungen vielleicht ein Fehler versteckte. Ekman hatte den Menschen Bilder mit emotionalen Gesichtern gezeigt und ihnen dann mehrere Antwortmöglichkeiten gegeben. Dort konnte im Beisein von Aufsichtspersonen eine Antwort ankreuzen. Es könnte auch sein, dass Menschen emotionale Konzepte sehr schnell lernen und einordnen können. So geben sie wohlmöglich eine richtige Antwort, da sie nicht die genaue Emotion erfassen, sondern eher erkennen, dass eine Person glücklich oder traurig ist.
In den Wiederholungen der Experimente erhielt Feldman Barrett völlig unterschiedliche Ergebnisse zu Ekman. Zeigte sie einigen zurückgezogen lebenden Stämmen ein Bild einer im westlichen Sinne überraschten Person, sagten einige ihrer Probanten: „Oh, der Mann jagt.“ Manche Menschen ohne großen Kontakt zur Außenwelt kannten das Konzept von Überraschung, Ärger oder Traurigkeit gar nicht. Diese Dinge gab es weder im Wortschatz noch in der Kultur einiger Stämme. Feldman Barrett war von ihren Entdeckungen so verblüfft, dass sie ihre Experimente wiederholte. Doch ja, es stimmte. Wir scheinen „Grundemotionen“ nicht gleich zu erfassen. Meine Freude ist nicht deine Freude und meine Angst ist nicht deine Angst.
Sie schrieb daraufhin das Buch How Emotions Are Made oder „Wie Emotionen Gemacht werden“. In Ihrem Werk geht sie auch darauf ein, dass Man bisher in keinem einzigen Hirnscan eine Emotion klar nachweisen kann. Wenn wir Emotionen als Hirnfunktionen betrachten, dann spielt das Hirn hier also eher Jazz als Klassik.
Durch das Buch ging ein Aufschrei durch die Emotionsforscherwelt. Feldman Barrett wurde belächelt und angefeindet. Schließlich fußten Karrieren und Geld auf der Theorie der Grundemotionen. Die Nachricht war, dass Variation die Norm ist. Natürlich lernen wir emotionale Konzepte und wir finden auch leicht regionale Unterschiede. In letzter Zeit wird unsere emotionale Welt dennoch universeller, dadurch dass wir Emojis in unseren Texten benutzen. Was ist also wahr? Gibt es etwas Universelles und Verbindendes in der Emotionslehre? Die Antwort lautet für die meisten Menschen: „Ja!“
Mit ein wenig kognitiver Empathie haben wir sehr feine Antennen für die sogenannte Valenz. Wir erkennen wir positiv oder negativ gestimmt jemand ist. Vielleicht sind Sie schon einmal an einer halb offenen Bürotür vorbeigelaufen, sahen dort jemanden sitzen und dachten bei sich: „Da gehe ich jetzt besser nicht rein.“ Außerdem können wir recht gut die Intensität einer ausgedrückten Emotion verstehen. Da das Nervensystem bei einer starken emotionalen Reaktion aktiver ist, wird hier von arousal oder Erregung gesprochen.
Wenn wir die moderne Emotionsforschung betrachten, scheint die Wahrheit also in der Mitte zu liegen. Es gibt ein paar Dinge, die bei (fast) allen Menschen gleich sind und trotzdem scheint die Variation eher die Norm zu sein und nicht umgekehrt. Wenn wir mit diesem Wissen an die Situation zu Beginn des Artikels zurückdenken, stellt sich die Frage: „Was machen wir jetzt damit?“
Zugewandt
In der Emotionsforschung gibt es die Idee von Maximierern und Minimierern der Emotionen. Dabei geht es um die Richtung in der wir unseren Emotionen als Gefühlen Ausdruck verleihen. Das ist unterschiedlich für jedes Gefühl. Dazu sind Gefühle zusammengesetzt aus dem Kontext in dem wir uns befinden, unseren Erinnerungen und dem Teil der Emotionen, die wir unserem Bewusstsein erfassen können. Das heißt auch bei der Maximierer-Minimierer Theorie kann man nicht alle Gefühle über einen Kamm scheren.
Maximierer senden Gefühle eher nach außen und teilen sich ihrer Umwelt mit. Wenn das Gefühl dann nicht vom Maximierer selbst oder von den Menschen in der Umgebung anerkannt und eingerahmt wird, wird es eher größer, als kleiner. „Beruhig dich doch mal,“ ist dann kein hilfreicher Satz. Stattdessen hilft es sich zu erlauben die Gefühle des Maximierers ein wenig mitzufühlen und zugewandt anzuerkennen.
Minimierer senden Gefühle eher nach innen und brauchen etwas Zeit, um mit ihnen zu sitzen und zu sein. Menschen in der Umgebung können dann eher Zeit und Raum geben. Sie sollten den Minimierer jedoch auch nicht allein lassen. Die Zugewandtheit ist auch hier eine sehr gute Strategie.
Feldman Barrett schlägt vor, dass wir unsere Emotionale Intelligenz stets trainieren. Alles was wir mit Hilfe der Sprache benennen und einrahmen können führt zu ein wenig Selbstregulation. Wir können damit beginnen andere Arten kennenzulernen, Emotionen auszudrücken. Eine Möglichkeit dazu gibt es auf unserer Konferenz zur Zukunft der Arbeit. Kommen Sie dazu, wenn Sie diese einzigartige Mischung aus Kunst, Kultur und Wirtschaft erleben möchten.