Interview mit Jonas Schröder: Gedankennahrung

Auf der Suche nach Inspirierenden Texten im Internet, bin ich auf den Blog Gedankennahrung gestoßen. Als ich das nächste Mal vom Computer aufschaute, wurde mir bewusst, dass ich schon einige Artikel verschlungen hatte. Glücklicherweise steckt hinter dem Blog auch noch ein netter Mensch, mit dem sich über Mail und Skype interessante Gespräche entwickelten. Schließlich schlossen Jonas und ich uns für ein Interview kurz. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei den Macher vom Blog Gedankennahrung besser kennen zu lernen.

Jonas, du beschäftigst dich seit einiger Zeit mit Persönlichkeitsentwicklung. Was hat dein Interesse für dieses Thema geweckt?

Ob ich wirklich von mir behaupten kann, mich mit Persönlichkeitsentwicklung auseinanderzusetzen, das weiß ich nicht. Ich bin kein Coach oder Trainer. Aber was mich schon immer fasziniert hat, ist die Frage, in wieweit wir Einfluss auf unsere Persönlichkeit haben. Schließlich sollten wir und nicht selbst im Weg stehen, sondern unsere Ziele so gut wie möglich versuchen, zu erreichen. Und da bin ich überzeugt, können wir alle wesentlich mehr tun als wir gemeinhin glauben.

Ich erinnere mich daran, dass es mich schon als Kind das Verhalten von Menschen unglaublich fasziniert hat. Besonders die Frage nach den Beweggründen faszinierte mich, die Frage: Warum verhält sich die Person gerade so und nicht anders? Wir alle haben unsere Vergangenheit, Überzeugungen und Wünsche, die unsere Persönlichkeit und Charakter bilden.




Du stellst auf deinem Blog ja auch immer wieder Persönlichkeiten und Bücher vor. Als wir uns darüber unterhalten haben, fiel auch der Name von Daniel Kahneman. Was fasziniert dich an der Arbeit von ihm?

Kahneman hat für mich die Welt der Psychologie und Verhaltensökonomie geöffnet. Ich schulde ihm einiges dafür. Sein Buch Schnelles Denken, langsames Denken war der Hauptgrund, weshalb ich 2014 während meines Auslandssemesters das Projekt Gedankennahrung gestartet habe. Darin fasst der Nobelpreisträger die kognitionspsychologischen Erkenntnisse der letzten vierzig Jahre auf interessante Weise zusammen.

Besonders faszinierten mich die Experimente und Studien, in denen es um sogenannte Verzerrungen unseres Urteilsvermögens geht, im Englischen „biases“ genannt. Wir sind keines Wegs immer rationale Wesen, wie es einige VWL-Professoren und Investoren gerne annehmen. Ich möchte jetzt hier kein Fass aufmachen, kann aber jedem, der sich generell für menschliches Verhalten interessiert empfehlen, nach den Begriffen Endowment-Effekt, Anker-Effekt, Nudging und Ego-Depletion zu googeln. Passende Artikel zu diesen Themen findet man auch bei mir auf dem Blog. Oder man kauft sich das Buch einfach gleich.

Du hast Philosophie und BWL in Mannheim studiert. Jetzt bist du dort auf der Business Schule, um deinen Master im Management zu machen. Was kann die Wirtschaft von der Philosophie lernen und umgekehrt?

Eine spannende Frage, wobei man nicht von „der“ Wirtschaft und „der“ Philosophie sprechen kann. Da gibt es viele unterschiedliche Schulen, die sich nicht selten in ihren Grundüberzeugungen widersprechen. Eine befriedigende Antwort würde den Rahmen des Interviews sprengen. Vielleicht ist das etwas für einen zukünftigen Essay?

Dann frage ich dich einmal spezifischer. Du vertrittst die Meinung, dass der Stoizismus in vielen Unternehmen Einzug erhält. Wie stehst du zum Stoizismus und würdest du dich selber als Stoiker bezeichnen?

Auf dem amerikanischen Buchmarkt bemerke ich seit ein paar Jahren die steigende Beliebtheit der Lehre der Stoa. Das Tolle am Stoizismus, im Vergleich zu anderen philosophischen Lehrschulen, ist die Zugänglichkeit für den Leser.

Im Mittelpunkt stehen praktische Weisheiten, die aktuell gerne von Unternehmern aus dem Silicon Valley sowie von NFL-Spielern gelesen werden. Dabei geht es insbesondere um Gelassenheit und Selbstbeherrschung gegenüber den Dingen, die in unserem Leben passieren. Das große Ziel ist es, sein Leben in einem Zustand der Affektfreiheit zu verbringen, der Apatheia. Leidenschaften sehen die Stoiker nämlich eher negativ. Der Weise, das Idealbild der Stoiker, übt zudem noch Selbstgenügsamkeit (Autarkie) und Unerschütterlichkeit (Ataraxie). Er nimmt das Schicksal an, kann er es doch eh nicht ändern, und weiß, dass Begriffe wie gut und schlecht eigentlich nichts mit der Sache zu tun haben, sondern Interpretationen der Menschen sind.

Selbstverständlich ist das nur ein Auszug der Lehre und es gibt einiges, was ich daran kritisieren könnte. Allerdings finde ich es besser und zielführender die für das eigene Leben positiven Dinge aus der Lehre zu ziehen, statt sich über die Teile der Lehren aufzuregen, die man selbst nicht teilt.

Um die vorherige Frage in abgewandelter Form doch noch mal aufzugreifen: Was können die Akteure der Wirtschaft, insbesondere die in hohen Positionen mit finanzieller und moralischer Verantwortung von der Stoa lernen? Etwas, das jedem von uns helfen kann: mit einer gewissen Gelassenheit zu reagieren statt emotional von jeder neuen Information aufgewirbelt zu werden. Denn nur so lässt sich die Situation analysieren und eine Lösung finden, nicht als Passagier der emotionalen Achterbahn.

Ich selbst würde mich allerdings nicht selbst als Stoiker bezeichnen. Ein bisschen Euphorie tut manchmal gut und ich mag es nicht, wenn mir ein Stempel aufgedrückt wird. Wer sich übrigens mehr mit der praktischen Philosophie der Stoiker auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich die sehr zugänglichen Bücher The Obstacle is the Way und Ego is the Enemy von Ryan Holiday.

Du hast erzählt, dass das Daniel Kahneman eine große Inspirationsquelle für das Projekt Gedankennahrung war und ist. Wie ist deine Philosophie hinter dem Projekt?

Daniel Kahnemans Buch so fasziniert, dass ich einfach mit anderen darüber reden musste. Schließlich handelt es sich um Dinge, die jeden von uns betreffen. Ich teile gerne Wissen und rede über Dinge, die mich faszinieren, da bot es sich an, das in schriftlicher Form zu machen und die kurzen Essays und Buchzusammenfassungen online zu stellen.

Wie gesagt bin ich kein Coach oder Trainer, ich verkaufe kein Produkt. Ich teile einfach, was mich gerade fasziniert und was ich Neues gelernt habe. Dadurch verschieben sich die Themenschwerpunkte natürlich. Die Resonanz von Lesern zeigt mir aber, dass es eine gute Idee war. Ich habe regelmäßig spannende Gespräche mit anderen Bloggern und Lesern. Dazu zählt auch unser Skype-Gespräch vor ein paar Wochen, Ben.

Danke für die Blumen. Auch mit freut es sehr mit jemandem zu sprechen, der einen Blog führt, Ideen entwickelt und weiter denkt. Wann hast du mit dem regelmäßigen Schreiben begonnen und wie hat es dein Leben beeinflusst?

Schreiben ist die Kunst, Gedanken festzuhalten. Dabei ist es egal, ob man sie danach mit jemandem teilen möchte oder ob man sie für sich selbst analysieren möchte. Ich führe seit 2013 ein Gedankenjournal, in dem ich regelmäßig festhalte, was mich bewegt, zum Beispiel welche Sorgen ich habe, aber auch welche Ziele ich erreicht habe. Es ist doch sehr befreiend, die Geister aus dem Käfig zu lassen. Außerdem kann ich so über eine lange Zeit hinweg nachvollziehen, wie sich Dinge wie meine Weltsicht, Ziele und Sorgen verändert haben. Wir Menschen haben einen Hang dazu, Dinge zu vergessen. Deshalb: schriftlich festhalten!

Da bin ich absolut bei dir. Seit einigen Jahren schreibe ich täglich einen kurzen Abriss über Dinge, die gut geklappt haben, Ideen und wie ich etwas noch besser machen kann. Da sind wir auch schon beim nächsten Thema. Was sind deine Ziele für die Zukunft?

Das klingt wie eine klassische Frage aus dem Bewerbungsgespräch: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Nun, ein zynischer Stoiker würde sagen, Planen hilft nicht, denn es kommt eh anders. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was Stoiker zur Lebensplanung sagen, aber ich hoffe, der Punkt wurde klar. Ich selbst finde eine grobe Planung hilfreich und nötig, allerdings schreibe ich mir nicht konkrete Ziele als zeitliche Meilensteine auf.

Ich vermute mal, meine beruflichen Ziele und Karrierevorstellungen sind hier nicht sonderlich interessant. Somit kann ich nur schwammig antworten: weiterhin so viel wie möglich über menschliches Verhalten lernen, viel ausprobieren und spannende Dinge mit interessanten Leuten erleben. Und darüber schreiben.

Ich freue mich schon auf deine nächsten Blogeinträge. Kommen wir zur letzten Frage, Jonas. Welche Vorbilder hast du in deinem Leben?

Das Traurige ist, dass man sich an die meisten Leute, die einen im Laufe des Lebens beeinflusst haben, nicht erinnern kann. Arnold Schwarzenegger hat im Mai bei einer Abschlussrede vor US-Studenten gesagt: The self-made man is a myth.

Wie jede Person bin auch ich das Produkt meines sozialen Umfelds und Lehrmeister, sei es in Person oder aus Büchern. Die Liste der Leute, die mich inspirieren und die ich bewundere, ist lang.

In den letzten Jahren war Tim Ferriss mit seinen Büchern und hunderten Interviews mit Sportlern, Schauspielern, Unternehmern, Investoren und Wissenschaftlern. Wenn ich eine Sache empfehlen kann, dann ist es sein Podcast, der für mich fast schon prägender ist als Kahnemans Buch. Es ist erstaunlich, welche Gemeinsamkeiten äußert erfolgreiche Personen teilen, insbesondere ihr Denken.

Vielen Dank Jonas

Ich wünsche Ihnen eine gedankenreiche Woche,

Ihr Dr. Ben Hartwig 

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